Eine Analyse der Sozialistischen LINKEN (SL) NRW

 

1. Zentrale Ergebnisse

Das Ergebnis der Landtagswahl bedeutet einen massiven Rechtsruck: CDU, FDP und AfD haben zusammen 53 Prozent der Stimmen erzielt und damit gegenüber der Landtagswahl 2012 18,1 Prozentpunkte hinzugewonnen. Damit reiht sich diese Landtagswahl ein in einen europaweit feststellbaren Rechtsruck: mit fast der Hälfte der Stimmen für den FPÖ-Kandidaten bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich, dem vornehmlich von Rechts forcierten Brexit-Votum, der Verdopplung der Parlamentssitze für die niederländische PVV und den 38 Prozent für Marine Le Pen. Fast überall war dieser Rechtstrend begleitet von vernichtenden Niederlagen der Sozialdemokratie und einer Rechtsverschiebung im bürgerlichen Lager.

Mit den 7,4 Prozent für die AfD sitzen die Rechtspopulisten nun schon im 13. Landtag. Die SPD-Grüne Landesregierung wurde klar abgewählt: Die Grünen landen wieder dort, wo sie bereits 2005 standen; das Abschneiden der SPD ist das schlechteste Ergebnis, das sie jemals bei Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen erreicht hat.

DIE LINKE hat zwar gegenüber der letzten Landtagswahl deutlich hinzugewonnen, aber sie hat ihr Wahlziel verfehlt und die Rückkehr in den Landtag nicht geschafft. Ein Zuwachs von 221.380 Stimmen gegenüber der Landtagswahl 2012 reichte nur für 4,9 Prozent. Dies Ergebnis ist für DIE LINKE ein „bitterer Erfolg“ (Horst Kahrs / Benjamin-Immanuel Hoff, https://www.rosalux.de/publikation/id/14838/die-landtagswahl-in-nrw-am-14-mai-2017/ ). Dazu zählt auch, dass wir das Ergebnis der Landtagswahl 2010, als wir 435.627 Stimmen gewonnen hatten und mit einer elfköpfigen Fraktion in den Landtag gelangt sind, nicht wieder erreicht haben, sondern diesmal nur von 415.808 Menschen gewählt wurden. Hätte DIE LINKE ihr Zweitstimmenergebnis von 2010 wiederholen können, säße sie mit 5,1 Prozent im Landtag. Durch das Scheitern der LINKEN an der 5 Prozent-Hürde können CDU und FDP die Regierung bilden und ihren neoliberalen Regierungskurs der Jahre 2005 – 2010 wieder aufgreifen.

AfD und FDP haben bei Arbeiter*innen mehr Stimmen geholt als DIE LINKE

DIE LINKE konnte zwar überdurchschnittlich bei Arbeiter*innen und Arbeitslosen punkten mit 8 bzw. 10 Prozent. Aber die AfD ist hier mit 17 bzw. 12 Prozent weitaus stärker. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei den Bildungsabschlüssen ab: So wählten nur 3 Prozent der Menschen mit „einfacher Bildung“ DIE LINKE, im Vergleich zu 6 Prozent der Menschen mit „höherer Bildung“. Die AfD dagegen erreichte mit 7 Prozent bei den Menschen mit „einfacher Bildung“ mehr als doppelt so viele Stimmen wie DIE LINKE, während sie bei Wähler*innen mit „höherer Bildung“ ebenfalls auf 6 Prozent kommt.

Bei Rentner*innen und Selbständigen, wozu auch prekär Selbständige zählen, erreicht DIE LINKE nur 3 bzw. 4 Prozent der Stimmen. Während wir in Universitätsstädten meist deutlich zulegen konnten, haben wir – im Vergleich zur Wahl 2010 – im Norden des Ruhrgebiets durchgängig erhebliche Verluste zu verzeichnen.

Die Wahlbeteiligung in Stadtteilen, in denen viele Menschen in prekären Verhältnissen leben, ist noch einmal massiv eingebrochen. Nach wie vor zeigen sich deutliche Schwächen der LINKEN im ländlichen Raum: vor allem dort, wo auch die kommunalpolitische Verankerung schwach ist.

Zur Bilanz dieses Wahlkampfes gehört andererseits natürlich auch unser erfreulicher Mitgliederzuwachs in NRW: Zwischen dem Programmparteitag und dem Wahltag sind weit mehr als 800 Neumitglieder hinzugekommen; und in den ersten 14 Tagen nach der Wahl noch einmal weit über 100. Das ist insgesamt auch netto ein Zuwachs von deutlich mehr als 10 Prozent – eine Quote, wie wir sie seit der Fusionsphase von PDS und WASG nie mehr erreicht hatten.

2. Ursachen

Bei den Ursachen für die Wahlniederlage sind zum einen die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen des Wahlkampfs in NRW von Bedeutung: Die klare Abwahl der Landesregierung ist Folge der großen Unzufriedenheit mit zentralen Feldern der Landespolitik: Ihre Bilanz in der Bildungspolitik, der Verkehrspolitik und der Kriminalitätsbekämpfung war verheerend; die Schönfärberei der „NRWir“-Kampagne lief deshalb völlig ins Leere.

Die SPD hat darüber hinaus das schmale Gelegenheitsfenster des „Schulz-Effekts“ wirkungslos verstreichen lassen: Es gab erstmals seit Längerem kurzzeitig wieder die Chance, rechnerische Mehrheiten diesseits der Union zu erreichen. Viele Menschen hatten offenbar mit dem „neuen“ Gesicht und Schulz‘ „soziale Gerechtigkeit“-Phrasen die Hoffnung auf einen Politikwechsel verbunden. Indem diese Phrasen mit keinerlei nennenswerten Inhalten verbunden wurden und indem führende Sozialdemokraten alle Türen zu sozialeren Mehrheiten zuschlugen, wurde diese Hoffnung zerstört.

In der Zielgeraden des NRW-Landtagswahlkampfes war der auf mehr soziale Gerechtigkeit hoffende „Schulz-Effekt“ schon im Sinkflug. Mit Stegners demonstrativer Freude über den „Erfolg“, DIE LINKE in Schleswig-Holstein draußen zu halten, und mit Krafts panikartiger Absage an eine Zusammenarbeit mit der LINKEN vier Tage vor der NRW-Wahl wurde der Sinkflug zum Sturzflug beschleunigt. Dieser Sturzflug wirkte offenbar nicht nur demobilisierend auf SPD-Wähler*innen, sondern auch auf potenzielle Wähler*innen der LINKEN. Dies wurde – von den bürgerlichen Medien wohlwollend begleitet – verschärft durch einen in der Endphase zunehmend aggressiveren Wahlkampf des bürgerlich-neoliberalen Lagers. Das Zusammenwirken dieser Faktoren führte zu einem Erdrutsch, den 75 noch wenige Tage vorher kein Meinungsforschungsinstitut vorhergesehen hatte.

DIE LINKE hat ihre Stärken nicht vollständig ausgespielt

Zum anderen hat die LINKE ihre Stärken nicht deutlich genug herausgestellt. „DIE LINKE wird sich mit der Frage beschäftigen und sie plausibel beantworten müssen, warum sie bei einer so großen Bewegung von früheren Wähler*innen der Parteien links von der Union – von Grünen, SPD und Piratenpartei – landesweit in nur so geringem Maße als Alternative in Frage gekommen ist“ (Horst Kahrs / Benjamin-Immanuel Hoff). Wer sich dieser Frage nicht stellt, wird dieselben Fehler mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederholen. Wer sie indes zu „Schwarze-Peter“-Spielen nutzt, der gefährdet – unmittelbar vor der Bundestagswahl – die Handlungsfähigkeit und die inner- wie außerparteiliche Attraktivität des größten westdeutschen Landesverbandes der LINKEN.

Bei der Wahlkampforganisation traten Schwächen (z.B. verspätete Materialauslieferungen, fehlende Kabelbinder etc.) auf, die in erster Linie dem geringen Budget bzw. dem Sparen an der falschen Stelle geschuldet waren: z.B. zu wenige Materiallager, unzuverlässige Billig-Lieferanten. Dies sollte sich aber mit wenig Planungsaufwand künftig beheben lassen. Viel entscheidender waren politisch-kommunikative Defizite, die sich unschwer an unseren Ergebnissen bei zentralen Zielgruppen ablesen lassen:

• Offensichtlich hat die Self-Empowerment ästhetisierende „Zeig Stärke!“-Wahlkampagne zwar junge Menschen angesprochen, aber nicht ans Lebensgefühl der Lohnabhängigen und sozial Ausgegrenzten anknüpfen können.

• Offensichtlich ist es nicht gelungen, die Teile des Wahlprogramms rüberzubringen, die der Industriearbeiterschaft wie auch den Gewerkschafter*innen aus dem Dienstleistungssektor signalisieren sollten, dass die Wahl der LINKEN einen „Gebrauchswert“ für sie aufweist: Das Öffentliche Beschäftigungsprogramm, die Industriestiftung NRW und der Zukunftsfonds für Industrieinnovationen wurden im Wahlkampf der NRW-LINKEN so gut wie gar nicht thematisiert.1 Dabei hätte die Veröffentlichung des Gutachtens „Anforderungen an eine beschäftigungsorientierte Wirtschafts- und Industriepolitik. Für mehr Beschäftigung und gute Arbeit am Beispiel der Region Nordrhein-Westfalen“ der Professoren Bontrup und Marquardt am 28. April 2017 gemeinsam mit Fabio De Masi in Düsseldorf und versehen mit einem Vorwort von Sahra Wagenknecht die Chance geboten, mit dieser Thematik doch noch in die Offensive zu kommen.2

• Offensichtlich hat sich der Verzicht, Themen wie Flüchtlingspolitik und Antirassismus offensiv anzusprechen, nicht ausgezahlt: Gerade auch hiermit hätten wir viele Ex-Grünen-Wähler*innen ansprechen können.

• Anders als dem neoliberal-bürgerlichen Lager ist es der LINKEN nicht gelungen, auf Schwerpunkt- und Stimmungsverschiebungen während des Wahlkampfes adäquat zu reagieren:

Zum Thema Infrastrukturpolitik hätte unser Wahlprogramm einiges zu bieten gehabt, aber dies wurde kaum „gespielt“. Auch der Bedeutungszuwachs des Themas „Innere Sicherheit“ während des Wahlkampfes hätte deutlichere Antworten von links erfordert. Bei der Bildung als zentralem Unzufriedenheits-Thema für viele Wähler*innen hätten wir unsere Alternativen stärker hervorheben sollen.

Ungeachtet dessen bleibt festzuhalten: Der Landesverband und die Kreisverbände haben den Wahlkampf ausdauernd und sehr engagiert bestritten. Das erfolgreiche Zugehen auf viele Menschen spiegelt sich nicht zuletzt auch in den vielen Neueintritten insbesondere junger Menschen wider.

3. Folgerungen

Wesentliche Folgerungen ergeben sich unmittelbar aus den o.g. politisch-kommunikativen Defiziten:

• Die gesamte Kommunikation sollte stärker darauf ausgerichtet werden, unmittelbar am Lebensgefühl der Arbeiter*innenklasse (der Lohnabhängigen wie auch der sozial Ausgegrenzten) anzuknüpfen und den „Gebrauchswert“ der LINKEN für die Industriearbeiterschaft wie auch Beschäftigte aus dem Dienstleistungssektor und ihre Gewerkschafter*innen zu verdeutlichen.

Um auch unsere Zugewinne im links-akademischen Milieu auszubauen und unsere Defizite im ländlichen Raum zu beackern, bedarf es künftig einer breiteren inhaltlichen Aufstellung des Landesverbandes (neben dem Kernthema soziale Gerechtigkeit inclusive Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Gesundheit und Bildung: insbesondere Solidarität mit Geflüchteten, sozial-ökologischer Umbau, Datenschutz und Bürgerrechte, Kinder-, Familien- und Frauenpolitik). Dies sollte sich in Wahlkämpfen auch in sozialräumlich und zielgruppengerecht stärker ausdifferenzierten Wahlkampfmaterialien und einem breiten Spektrum bei den Kandidierenden auf aussichtsreichen Plätzen widerspiegeln.

Weitere Folgerungen ergeben sich aus der veränderten politischen Landschaft in NRW:

Hier geht auf absehbare Zeit die größte Gefahr für die Lebensperspektiven der Mehrheit der Bevölkerung von der deregulierungswütigen Landesregierung aus erstarkter CDU und FDP aus: Die schwarz-gelbe Landesregierung wird NRW nicht durch Kürzen auf Wachstum trimmen können. Durch Kürzen wird nichts gerechter, vor allem nicht in den Kommunen.

Jetzt machen wir außerparlamentarisch Opposition. Wir machen Opposition gegen die Regierung, die die Verhältnisse verschlechtert. Und diese Regierung bilden CDU und FDP. Wir müssen deren innere Widersprüche da angreifen, wo sie sich zeigen. Und wir sollten in allen für die Mehrheit der Bevölkerung wichtigen Fragen konkrete Alternativvorschläge zur Politik der Landesregierung vorlegen.

Weitere Folgerungen ergeben sich aber auch aus dem erfreulichen Mìtglieder-Zuwachs:

Jetzt gilt es, nicht nur den Neumitgliedern und Sympathisant*innen konkrete und attraktive Angebote zur Mitwirkung zu machen: im Kreisverband, aber auch auf Landesebene, indem man sie für interessante Debatten und Aktionen und nicht nur zum Beschlussmarathon zusammenbringt.

Jetzt gilt es, die politische Bildungs- und Schulungsarbeit auszuweiten.

Hierzu beitragen sollten auch die Innerparteilichen Zusammenschlüsse (LAGs), die gerade jetzt (wieder)belebt und auch stärker genutzt werden sollten, um politisch-inhaltlich mit nahestehenden Kräften aus der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten.

Mit dem Engagement der „Neuen“ können auch Instrumente wie Aktionstage unterhalb der Wahlkämpfe und breit angelegte Kampagnen fortentwickelt werden, um populäre Themen öffentlichkeitswirksam auf die Tagesordnung zu setzen.

Wir sind nur so stark, wie es uns gelingt, unsere Vielfalt auch im Programm und dem Spektrum der Kandidierenden widerzuspiegeln.

Gemeinsam für eine solidarische Weiterentwicklung des Landesverbands!

Offensiv und optimistisch in den nächsten Wahlkampf: für soziale Gerechtigkeit!