Das Ergebnis der Bundestagswahlen ist eindeutig: Die Regierungsparteien der großen Koalition wurden abgestraft, die kleinere Parteien haben hinzugewonnen. Mit dem Bekenntnis der SPD, in die Opposition gehen zu wollen ist die große Koalition faktisch abgewählt. Gleichzeit ist ein gesamtgesellschaftlicher Rechtsruck bzw. eine Polarisierung zu verzeichnen: Die FDP schaffte mit 10,7 Prozent den Wiedereinzug in den Bundestag, die nationalkonservative und rassistische Alternative für Deutschland (AfD) kommt gar auf 12,6 Prozent.

DIE LINKE stagniert auf einem Niveau von etwa 9 Prozent. Sie konnte ihr Ergebnis im Vergleich zur letzten Wahl leicht verbessern, der erhoffte Zuwachs wurde jedoch trotz Stimmverlusten der SPD verpasst. Insgesamt kommt das vermeintliche „linke Lager“ aus SPD, Grünen und LINKEN auf knapp 40 Prozent, während das rechte Lager einschließlich der AfD auf fast 60 Prozent kommt. Zieht man in Betracht, dass auch SPD und Grünen sich nicht konsequent von ihrer neoliberalen Politik der Agenda losgesagt haben, ist der Widerspruch zwischen verbreiteter Unzufriedenheit über soziale Missstände und der Stagnation der LINKEN frappierend.

Aufgeschlüsselt nach Regionen zeigt sich, dass die LINKE im Osten überwiegend Stimmen verloren hat,  im Westen hingegen zulegen konnte. Während im Osten ihr Status als Volkspartei in Gefahr gerät, scheint sie sich im Westen zu konsolidieren. Die Konsequenzen dieser Entwicklung werden zu diskutieren sein.

 

Das Hamburger Ergebnis: DIE LINKE legt zu

Obwohl sie ihre Vorherrschaft bei den Direktmandaten verteidigen konnte, hat die SPD in ganz Hamburg Zweitstimmen verloren. Auch die CDU hat deutliche Verluste hinnehmen müssen. Während die Grünen in Hamburg ihr Ergebnis halten konnten und damit weit über dem Bundesschnitt liegen, hatte die FDP die größten Zuwächse zu verzeichnen. Sie liegt damit allerdings weiterhin ziemlich exakt im Bundesschnitt.

Die Hamburger LINKE hat mit 12,2 Prozent der Zweitstimmen das beste Ergebnis bei einer Bundestagswahl einfahren. Im Bundesvergleich liegt Hamburg damit im Mittelfeld. In Bremen wurde ein ähnliches Ergebnis erzielt. Die Partei befindet sich im Westen insgesamt im Aufwind. In urbanen Ballungsgebieten kann sie Ergebnisse von über 10 Prozent erzielen, während sie in ländlichen Regionen im Westen weiterhin schlecht verankert ist. Die Hochburgen der LINKEN liegen im innerstädtischen Bereich. In neun Stadtteilen ist sie stärkste Kraft, mit Spitzenwerten von 42 Prozent in Grasbrook/Steinwerder, 34,9 Prozent in der Sternschanze und 33,8 Prozent in St. Pauli. Damit setzt DIE LINKE den bereits bei den Bürgerschaftswahlen festzustellenden positiven Trend fort und sie kann ihre Verankerung in der Bevölkerung stärken.

Im Kernklientel der SGB-II Bezieher*innen sowie der Arbeiter*innen und Angestellten mit niedrigen Einkommen konnte die Hamburger LINKE entgegen des Bundestrends Stimmen hinzugewinnen. Mit 16,7 Prozent der SGB-II Bezieher*innen und 17,8 der Geringverdiener*innen gehören beide Gruppen weiterhin zur Stammwähler*innenschaft. Im Vergleich zur BTW 2013 konnte DIE LINKE bei diesen Gruppen um 3-5 Prozent zulegen. Die SPD verlor in diesen Gruppen fast 10 Prozent der Wähler*innen. Mit Zuwächsen von 6-7,5 Prozent legte die AfD bei Geringverdiener*innen allerdings stärker zu als die LINKE. DIE LINKE hat also bei diesen Zielgruppen im Vergleich zur AfD an Boden verloren.

 

 

LINKE Milieus im Wandel: Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen wählen eher AfD als die LINKE

Die Ergebnisse der Bundestagswahl zeigen eine zweifache Verschiebung der linken Wähler*innenschaft an: Während die Partei im Osten Stimmen verloren hat, konnte sie im Westen zulegen. Gleichzeitig setzte sich der Trend fort, dass sich die Partei zunehmend im akademisch-progressiven Milieu verankert, während sie bei Arbeiter*innen und Erwerbslosen im Vergleich zur AfD an Boden verliert. Sowohl bei den Arbeiter*innen, als auch bei Erwerbslosen ist die LINKE nur noch viertstärkste Kraft.

Dieser Trend hat auch die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter*innen und Angestellten erfasst. Mit 12 Prozent konnte sie ihr Wahlergebnis unter Gewerkschafter*innen im Vergleich zu 2013 zwar um ein Prozent leicht verbessern, gleichzeitig legte die AfD allerdings um satte 10 Prozent zu. Sie ist nun vor der LINKEN die drittstärkste Kraft im gewerkschaftlichen Milieu.

 

Ursachen für die Zugewinne in Hamburg und die Stagnation im Bund

In Hamburg wurde der Vorlauf zur Bundestagswahl durch die Debatte über den G20-Gipfel dominiert. Die konsequente Linie, die DIE LINKE in Bezug auf staatliche wie nicht-staatliche Gewalt und Rechtsbrüche vertreten hat, stand einem guten Ergebnis zumindest nicht entgegen. Inwieweit die G20-Debatte das Ergebnis positiv beeinflusst hat, lässt sich nur vermuten.

Der Bundesweite Wahlkampf wurde von der LINKEN mit einem breiten Themenportfolio und bunt gestalteten Plakaten zu Themen wie „Gerechtigkeit“, „Rente“ oder „Frieden“ angegangen. Klassenkämpferische Positionen und die Forderungen nach einer sanktionsfreien Mindestsicherung wurden nicht in das Zentrum des Wahlkampfes gestellt. Thematisch und gestalterisch war der Wahlkampf damit eher auf das linksakademische Milieu sowie anschlussfähige bürgerliche Milieus ausgerichtet, als auf Erwerbslose und Arbeiter*innen.

Im Vorlauf des Wahlkampfes gab es in der Partei eine erneute Debatte über den möglichen Eintritt in eine rot-rot-grüne Regierungskoalition. Die Auseinandersetzung wurde dabei weniger über inhaltliche Konzepte geführt, als über Bilder von Parlamentarier*innentreffen und vagen Absichtsbekundungen. Nachdem die SPD wenig Bereitschaft zeigte, sich von ihrer neoliberalen Politik loszusagen, mussten auch Befürworter*innen eines R2G-Bündnisses erkennen, dass das herbeigesehnte „linke Lager“ sich auch im Bundestagswahlkampf 2017 nicht formieren würde. SPD und Grüne orientierten sich eher auf Bündnisse mit der CDU oder der FDP. DIE LINKE entschied sich für einen konsequent auf soziale Gerechtigkeit ausgerichteten Wahlkampf, in dem sie auch Grüne und SPD scharf für ihre neoliberale Politik kritisierte.

 

 

Folgerungen: Strategien für eine starke LINKE in Hamburg

DIE LINKE hat in Hamburg ein gutes Ergebnis erzielt. Der auf das Kernklientel ausgerichtete Wahlkampf hat in Hamburg offensichtlich gegriffen. Das gute Ergebnis bestätigt darüber hinaus die Politik des Landesverbandes und der Bürgerschaftsfraktion in den vergangenen Jahren. Dies gibt Hoffnung, dass der Aufbau der Partei in den kommenden Jahren erfolgreich fortgesetzt werden kann.

Dennoch sind aus dem Wahlkampf einige Lehren zu ziehen: Aus gewerkschaftlicher Sicht besonders problematisch erscheint, das DIE LINKE im Milieu der Arbeiter*innen und Erwerbslosen trotz leichter Zugewinne an Boden verliert. Diese Entwicklung ist ein Bundestrend, sie ist jedoch auch die Folge verpasster Chancen und struktureller Defizite der Hamburger LINKEN. Mit der AG Betrieb & Gewerkschaft und der Sozialistischen Linken gibt es in Hamburg zwei Landesarbeitsgemeinschaften, die gewerkschaftliche Politik in der Partei vorantreiben, ihre Arbeit konzentrierte sich allerdings bisher auf wenige Zielgruppen. Durch die Beteiligung am Hamburger Pflegebündnis und den Austausch mit Betriebsrät*innen aus dem Bereich hat sich DIE LINKE bei Angestellten im Hamburger Gesundheitswesen den Ruf einer verlässlichen Partnerin erarbeitet. Die Konflikte innerhalb der IG Metall rund um das Thema Leiharbeit sind an der LINKEN hingegen weitgehend vorbeigegangen. Nicht nur die genannten Arbeitsgruppen, sondern die Partei als ganzes sollte Arbeitsschwerpunkte im Bereich prekarisierter Arbeit setzen, sich stärker mit entsprechenden Gruppen innerhalb der Gewerkschaften vernetzen und zum Ort der Selbstorganisation für Arbeiter*innen werden, deren Interessen in den Gewerkschaften oft marginalisiert werden. Hierzu zählt auch ein Neustart der Berufsschularbeit, die bisher weder von der ausgelasteten AG B&G, noch den zerstrittenen Linksjugendgruppen in angemessener Weise gestaltet wird.

Strukturelle Defizite zeigen sich in der Hamburger LINKEN auch in Bezug auf Erwerbslose: Im ganzen Landesverband gibt es kein politisches Erwerbslosenfrühstück mehr. Die Sozialberatungen funktionieren in den Bezirken unterschiedlich gut, sie werden aber nicht systematisch für die politische Rekrutierung genutzt. Im Bereich der Erwerbslosenorganisierung braucht die LINKE in Hamburg dringend ein umfassendes Konzept und sie sollte sich darum bemühen, dass Erwerbslose sich innerhalb der Partei organisieren. Die entsprechenden Aufbauprozesse in den Bezirken gilt es mit entsprechenden Mitteln auf Landesebene zu stützen.

Will die LINKE den Aufstieg der AfD verhindern, muss sie den Kampf um die Erwerbslosen und Arbeiter*innen gewinnen. Im Wahlkampf wurde unter anderem deutlich, dass die LINKE in den sozialen „Brennpunkten“ nur bedingt zulegen konnte, in denen die AfD besonders stark abschnitt. In Gebieten mit dauerhafter linker Präsenz konnte die AfD hingegen vergleichsweise klein gehalten werden. Strategisch bedeutet dies: DIE LINKE sollte regionale Schwerpunkte in jenen Gebieten legen, die ihrer Sozialstruktur nach ein hohes Potential linker Wähler*innen aufweisen, die aber signifikant AfD gewählt haben. Hier ist eine dauerhafte Präsenz notwendig. Die Stadtteilgruppen in Billstedt/Billwerder/Neuallermöhe u.a. müssen aus anderen Stadtteilen unterstützt werden. Die LINKE sollte sich Gedanken machen, mit welchen landesweit Maßnahmen (beispielsweise regelmäßigen Steckaktionen und Veranstaltungen) sie eine kontinuierliche Präsenz in den betroffenen Stadtteilen sichern kann.

Die Bundestagswahl hat der LINKEN in Hamburg Sichtbarkeit verschafft. Nicht nur aufgrund des guten Wahlergebnisses gehen wir gestärkt aus dem Wahlkampf hervor. Der Partei haben sich in den vergangenen Wochen zahlreiche neue Mitglieder angeschlossen. Und dank des zweiten Bundestagsmandats gehen wurde die LINKE auch finanziell sowie in Bezug auf die Zahl hauptamtlicher Mitarbeiter*innen gestärkt. Diese positive Entwicklung gilt es nun in politische Strukturen und Konzepte zu überführen: Neumitglieder müssen aktiv eingebunden, Diskussionen vorangetrieben und vorhandene Netzwerke ausgebaut werden.

Abschließend noch ein Hinweis zu aktuellen Debatten in der LINKEN: Einige Vertreter*innen unserer Partei leiten aus dem Ergebnis der Bundestagswahl die Konsequenz ab, das Thema Flucht und Asyl anders zu thematisieren, um Wähler*innenwanderungen zur AfD entgegenzuwirken. Die dabei anklingende Entgegensetzung deutscher Arbeiter*innen und Geflüchteter lehnt die SL ausdrücklich ab. Eine sozialistische Partei darf Lohnabhängige unterschiedlicher Herkunft und Nationalität nicht gegeneinander ausspielen, sondern muss sie im Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung vereinen und ihre gemeinsamen Klasseninteressen hervorheben. Neben der direkten Konfrontation des (antimuslimischen) Rassismus der AfD gilt es in Abgrenzung zu ihr die soziale Frage in den Mittelpunkt zu rücken. Die Fehler der LINKEN bei der Ansprache von Arbeiter*innen liegen nicht in einem Mangel an Nationalismus, sondern in der ausbaufähigen gewerkschaftlichen Verankerung und klassenbewussten Thematisierung ihrer sozialen Lage.