Ein Beitrag von Ralf Krämer
AnhängerInnen eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) in der LINKEN behaupten, sie hätten ein durchgerechnetes Konzept vorgelegt. Die große Mehrzahl der Menschen würde angeblich mit dem Grundeinkommen netto mehr haben als heute. Nur hohe Einkommen ab 7000Euro brutto im Monat würden deutlich stärker belastet. Es ist zuzugestehen, dass die BAG sich Mühe gegeben hat und mit vielen Zahlen einen fundierten Eindruck zu vermitteln versucht. Tatsächlich geht dieses Konzept aber vorne und hinten nicht auf, wie im Folgenden gezeigt wird.
Gefordert wird von der BAG Grundeinkommen ein BGE von 1080 Euro im Monat für Erwachsene und 540 Euro für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre, Berechnungsgrundlage ist das Jahr 2013. Es ergeben sich Bruttokosten von 985 Mrd. Euro im Jahr. Gleichzeitig sollen steuerfinanzierte Leistungen und Steuererleichterungen im Volumen von rund 122 Milliarden Euro pro Jahr wegfallen. Laut BAG Grundeinkommen läge der Nettofinanzbedarf für das BGE also bei 863 Milliarden Euro pro Jahr, die zusätzlich aufgebracht bzw. umverteilt werden müssten. Zum Vergleich: Alle Städte und Gemeinden, Länder und der Bund gaben 2013 zusammen 830 Mrd. Euro aus.
Durch eine Umgestaltung des Steuersystems und der sozialen Sicherungssysteme soll dies angeblich finanzierbar sein. Die im BAG-Konzept alternativ aufgeführte Variante eines BGE als ne-gative Einkommensteuer würde daran nichts grundsätzliches ändern. Es würde lediglich beidem Teil der Bevölkerung mit höheren Erwerbseinkommen die Steuer mit dem BGE verrechnet. Es bleiben auch im BAG-Konzept die gleichen Finanzierungsvorschläge, die Grenzbelastungenauf jeden zusätzlich verdienten Euro wären gleich hoch. Die Finanzierung soll erfolgen durch:
- eine BGE-Abgabe von 33,5 Prozent auf alle „Bruttoprimäreinkommen“ der privaten Haushalte,die ca. 560 Mrd. Euro erbringen soll. Das entspräche einem abgabepflichtigen Einkommen von1672 Mrd. Euro. Dieser Betrag ist nicht nachvollziehbar. Laut Einkommensteuerstatistik 2013 betrug die Summe der Einkünfte (also vor allen Abzügen) 1416 Mrd. Euro, inklusive Pensionen u.a. Nicht-Primäreinkommen. Dazu kamen weitere etwa 59 Mrd. Euro, die von der Abgeltungssteuerauf Kapitalerträge privater Haushalte erfasst wurden. Auf dieser Basis ergäbe sich ein Aufkom-men von 494 Mrd., um 560 Mrd. Euro zu erzielen wären mindestens 38 Prozent Abgabe nötig.
- eine Sachkapitalabgabe in Höhe von 1,5 Prozent des Verkehrswertes von Immobilien und an-derem Sachkapital (Betriebskapital wie Maschinen etc.), die ca. 125 Mrd. Euro im Jahr bringensoll. Dabei soll bei Immobilien für Privatpersonen ein Freibetrag von 75.000 Euro pro Kopf gelten. Angenommen wird ein Bruttoanlagekapital von gesamt ca. 13 Billionen Euro, das entsprichtden Angaben auf destatis.de, und eine Summe der Freibeträge von maximal 4,5 Billionen Euro. Es ist nicht berücksichtigt, dass gut 1,7 Billionen von den 13 Billionen Euro Sachvermögen dem Staat gehören. Da deren Besteuerung keine zusätzlichen Finanzmittel für den Staat einbringt, entfallen dadurch schon mal 25 Mrd. Euro. Es soll offenbar außer Betracht bleiben, dassdie Sachvermögen in erheblichem Maße durch Kredite finanziert bzw. belastet sind, auch dannsoll voll besteuert werden. Das dürfte oft zu Problemen führen. Über die Hälfte ist Anlagevermö-gen von Unternehmen, überwiegend von Kapitalgesellschaften. Da die Freibeträge bei den privaten Haushalten anfielen, wäre der ganz überwiegende Teil des zu besteuernden Sachkapitals Un-ternehmensvermögen. Die effektive Steuerbelastung der Unternehmen würde allein durch diese Abgabe insgesamt mehr als verdoppelt. Zum Vergleich: Gewerbesteuer und Körperschaft-steuer erbrachten 2013 zusammen 64 Mrd. Euro.
- eine zweckgebundene Primärenergieabgabe von 2,50 Cent/kWh, die ca. 95 Mrd. Euro jährlich bringen soll. Dies soll angeblich bei einem normalen Vier-Personen-Haushalt nur eine eine Belastung von etwa 400 Euro pro Jahr, also 100 Euro pro Person, bedeuten. Das ist völlig unrealistisch. Geht man alternativ und realistischerweise wie in der Wissenschaft üblich davon aus, dass eine solche Abgabe über die Preise und Entlastungen für Exportunternehmen, die gegenfinanziert werden müssten, letztlich komplett von den privaten Haushalten getragen werden müsste, ergäbe sich eine jährliche Belastung von 1160 Euro pro Person, knapp 100 Euro im Monat.
- eine Luxusumsatzabgabe soll 70 Milliarden Euro einbringen. Im Rahmen des EU-Rechts ist eine solche Abgabe nicht umsetzbar. Und selbst wenn dürften die Einnahmen nicht zu erzielen sein, weil eine solche Abgabe nur bei Käufen im Inland erhoben werden könnte und somit leicht zu umgehen wäre, jedenfalls solange diese Abgabe nicht in der ganzen EU gälte. Das Einnahmeziel ist sehr hoch, zum Vergleich: die gesamte Mehrwertsteuer erbrachte 2013 197 Mrd. Euro.
- Für die gesetzliche Rentenversicherung wird vorgesehen, dass diese sich aus dem BGE plus einer beitragsfinanzierten Zusatzversicherung im Volumen von 116 Mrd. Euro zusammensetzen soll. Die gesetzliche Rentenversicherung und Pensionen betrugen 2013 über 300 Mrd. Euro. Im Modell der BAG ergibt sich ein paritätisch aufgebrachter Beitragsatz von nur noch sieben Pro-zent, auf Versichertenseite also 3,5 Prozent (2013 waren es real 18,9 bzw. 9,45 Prozent). Dieses Modell ließe sich allerdings nur nach einer Umstellungszeit von mindestens 40 – 50 Jahren umsetzen, denn alle im bisherigen System durch Beitragszahlungen erworbenen Ansprüche sind eigentumsartig geschützt und müssten auch weiterhin bedient werden. Andernfalls wäre das BGE auch nicht bedingungslos sowie ungerecht, wenn diese Rentenansprüche faktisch enteignet würden, während privat erworbene Vermögen und Versicherungsansprüche nicht angetastet werden sollen. Daraus folgt aber, dass die Rentenversicherungsbeiträge oder alternativ eine Steuerfinanzierung zunächst unverändert hoch bleiben müssten. Auch der bisherige Bundeszuschuss zur Rentenversicherung müsste bleiben. Sie könnten erst in mehreren Jahrzehnten deutlich sinken, wenn ein größerer Teil der heutigen RentnerInnen und rentennahen Jahrgänge und ihrer Hinterbliebenen verstorben sind.
- Zugleich soll die Einkommensbesteuerung umgestellt werden. Alle bisherigen Freibeträge und Absetzungsmöglichkeiten inklusive Ehegattensplitting und Kinderfreibeträgen sollen gestrichen werden. Lediglich das Grundeinkommen, staatliche und kommunale Sozialtransfers sowie Sozialversicherungsleistungen (Erwerbslosengeld, Renten etc.) sollen steuerfrei sein. Es sollen drei Ein-kommensteuersätze eingeführt werden: Die ersten 2160 Euro Erwerbseinkommen pro Monat und Person sollen pauschal mit 5 Prozent besteuert werden. Zwischen 2161 und 5400 Euro pro Person und Monat (bis zum fünffachen BGE-Satz) sollen 15 Prozent Einkommensteuer anfallen, für jeden Euro darüber 25 Prozent. Eine solche Umstellung der Einkommensteuer würde zu er-heblichen Mindereinnahmen führen, ich schätze auf Basis von DIW-Zahlen weit über 50 Mrd. statt der im BAG-Konzept geschätzten 10 Mrd. Euro. Dies auszugleichen würde durchgehend mindestens vier Prozentpunkte höhere Steuersätze erfordern (ein Prozent unter 15 Mrd. Euro).
Auf der Grundlage dieses Steuermodells in Verbindung mit insbesondere durch die umgestellte Rentenversicherung stark reduzierten Sozialbeitragsätzen kommt das BAG-Konzept dann zu der Aussage, dass die Gesamtbelastung der Erwerbseinkommen aus BGE-Abgabe + Einkommen-steuer + Versicherungsbeiträgen zwischen 50 Prozent bei kleinen Einkommen und 70 Prozent ab dem 5401. Euro Einkommen pro Person und Monat betragen würde, und dass einschließlich der BGE-Zahlung die meisten Menschen mit einem monatlichen Bruttoeinkommen unter 7.000 Euro dann netto mehr hätten als heute.
Wie gezeigt wären aber die tatsächlich notwendigen Abgabenbelastungen erheblich höher: der Rentenbeitrag wäre sechs Prozentpunkte höher, die BGE-Abgabe müsste mindestens vier bisfünf Prozentpunkte höher sein, die Einkommensteuer mindestens vier Prozentpunkte höher. Zusätzlich müssten weitere jeweils große zweistellige Milliarden-Euro-Beträge aufgebracht wer-den, weil die Einnahmeerwartungen von Sachkapitalabgabe, Luxusumsatzsteuer und Primärenergieabgabe unrealistisch sind oder sich in Zusatzbelastungen niederschlagen würden, diewieder ausgeglichen werden müssten.
Im Ergebnis lägen schon im so korrigierten BAG-Konzept die Gesamtbelastungen der Einkom-men mehr als 15 Prozentpunkte höher, also über 65 Prozent bei kleinen bis über 85 Prozent beihöheren Einkommen. Mehrbelastungen würden dann schon bei Bruttoeinkommen deutlich unter 4000 Euro (statt 7000 Euro) auftreten. Dazu kämen noch die erhöhten Belastungen durch dieSachkapitalabgabe, die Primärenergieabgabe und die Luxusumsatzsteuer. Alle Beispielrechnungen im BAG-Konzept sind daher Makulatur. Andere, realistischere, Modellbetrachtungen kommen zu dem Ergebnis, dass für die Finanzierung eines „sozialen“ BGE, also bei weitgehender Erhaltung des bisherigen Sozialstaats, die durchschnittliche Gesamtabgabenbelastung der Bruttoeinkommen auf knapp 80 Prozent mehr als verdoppelt werden müsste und die Mehrheit der Beschäftigten per Saldo Einbußen hinnehmen müsste.1
Zusätzlich wären die von der LINKEN geforderte Einführung einer hohen Steuer auf Millionenvermögen sowie hohe Besteuerung von großen Schenkungen und Erbschaften nötig, um diegeforderten Zukunftsinvestitionen und Ausbau öffentlicher und sozialer Leistungen und Daseinsvorsorge zu finanzieren. Die extrem hohen Abgabenbelastungen ab dem ersten verdienten Euro würden massiv erhöhte Anreize für „schwarze“ Arbeit und Geschäfte setzen und im Gegenzug immens verschärfte Kontrollen aller bezahlten Leistungen und Einkommen erfordern.
Darüber hinaus würden solche extremen Eingriffe in die Verteilungsprozesse erhebliche Auswirkungen auf die primäre Einkommensentstehung und die Preise haben und dem Modell dieGrundlagen entziehen. Die Kombilohnwirkung des BGE würde zu starkem Druck auf die Löhne führen. Bezeichnend ist der Vorschlag im BAG-Konzept, bei einem großen Teil der Selbstständigen die Hälfte der Sozialbeiträge aus dem Staatshaushalt zu zahlen, weil anscheinend die Belastung sonst als zu hoch angesehen würde. Bei den abhängig Beschäftigten sind sie aber Teil der Lohnkosten. Es würde sich hier also um eine massive Subvention zugunsten von Selbstständigen handeln, die den Druck auf die Löhne in konkurrierenden Unternehmen noch erhöhen würde.
Das ganze Konzept der BAG Grundeinkommen der LINKEN ist durch völliges Fehlen einer realistischen Analyse und Einschätzung der ökonomischen und sozialen Bedingungen, Möglichkeiten und Folgen eines solchen BGE geprägt. Im Kapitalismus, in dem private Unternehmer und Eigentümer über die Produktion, die Preise, die Investitionen, die Verwendung ihres Geldes entscheiden, erst recht bei offenen Grenzen, müsste ein BGE letztlich immer ganz überwiegend durch die breite Masse der abhängig Beschäftigten finanziert werden.
Fazit: Dieses Konzept der BAG Grundeinkommen geht nicht mal auf dem Papier auf. Auch wenn bei den Rechenbeispielen mit Zahlen aus ökonomischen Statistiken operiert wird: mit der Realität hat das wenig zu tun. Es handelt sich beim „emanzipatorischen bedingungslosen Grundeinkommen“ um eine völlig illusionäre „Wünsch-dir-was“-Konzeption. Wenn sich reale Politik daran orientieren sollte, würde das im Desaster enden. Das sollte DIE LINKE vermeiden.
1 Vgl., auch zu einer allgemeinen Kritik entsprechender Konzeptionen: Bedingungsloses Grundeinkommen. Risiken und Nebenwirkungen einer wohlklingenden Idee, ver.di Wirtschaftspolitik-Informationen4/2017, https://wipo.verdi.de/publikationen/++co++ab29a9ba-db39-11e7-ade4-525400940f89