Autor: David Stoop
Am 7. Mai sind Präsidentschaftswahlen in Frankreich und wie angekündigt hat Jean-Luc Mélenchon die Mitglieder von „La France Insoumise“ befragt, ob er eine Wahlempfehlung für Emmanuel Macron aussprechen soll. Die Mitglieder haben nun per Online-Votum entschieden, sich zu enthalten bzw. „blanc“, also ungültig zu stimmen. Damit ist scheinbar eingetreten, was einige deutsche Medien schon immer gewusst haben wollen: die „dumme Linke“ (taz) wird zur Steigbügelhalterin eines neuen Faschismus, weil sie nicht bereit ist, einen „gemäßigten Kandidaten“ zu unterstützen. Vielen gilt Macron bereits seit Beginn des Wahlkampfs als „liberale Hoffnung“ (Berliner Zeitung) und „weißer Ritter“ (Welt).
Macrons Agenda –Auf den Spuren von Schröder und Blair
Doch wofür steht Macron eigentlich? Als Verteidiger einer „multikulturellen“ Gesellschaft, Befürworter der Homo-Ehe und Kritiker des französischen Kolonialismus steht er der rassistischen Politik des Front National diametral entgegen. Zudem verspricht Macron in seinem Wahlprogramm eine „Bildungsoffensive“ zu starten und Steuerflucht zu bekämpfen. Den Kern bildet allerdings ein neoliberales Steuersenkungs- und Privatisierungsprogramm. Unter der Prämisse: „wir reduzieren die Kosten von Arbeit„ (nous réduirons le coût de travail) sollen die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Auch Arbeitnehmer*innen lockt er mit einer Forderung, die in Deutschland sonst von der FDP vertreten wird: „mehr Netto vom Brutto“. Dabei bedeutet die „Vergünstigung“ von Arbeitskosten für Arbeiter*innen vor allem eins: Lohnsenkungen und erhöhte Kosten bei der privaten Vorsorge! In wessen Interesse Macron agiert zeigt sich besonders deutlich an seinen Plänen zur Steuerreform. Unternehmen verspricht er die Senkung der Unternehmenssteuer von 33,3 auf 25 Prozent. Das Programm des ehemaligen Wirtschaftsministers ist damit im schlechtesten Sinne sozialdemokratisch und liberal. Übertragen auf den deutschen Kontext steht es irgendwo zwischen FDP und Schröders Agenda-Politik.
Angesichts der Steuergeschenke an Reiche folgt die zweite zentrale Forderung seines Programms fast schon logisch aus der ersten: Die „Verschlankung“ des Staats. Bis zu 125.000 Stellen im öffentlichen Dienst sollen gekürzt und staatliche Unternehmensanteile verkauft werden. Ausgenommen von der Kürzungspolitik werden lediglich die staatlichen Sicherheits- und Repressionsorgane. Unter dem Motto „un etat qui protège“ soll die Polizei um 10.000 Stellen aufgestockt werden. Konsequenterweise verspricht Macron auch die Zahl der Gefängnisplätze um 15.000 zu erhöhen. Für die Sicherung der EU-Außengrenzen gegen Schmuggel und illegale Einwanderung sieht sein Programm weitere 5.000 Polizist*innen vor.
Genüssliche Alternativlosigkeit
Angesichts dieser weitgreifenden Forderungen erstaunt es, dass Macrons Programm in der deutschen Debatte kaum kritisiert wird. Aus Angst vor der Fratze des Front National verdammen auch linke Medien Macrons Kritiker*innen als fehlgeleitet. Zumindest in einer Sache haben sie damit Recht: das Gerede von „Pest und Cholera“, das einige Linke bemühen, um die Wahl zwischen Le Pen und Macron zu beschreiben, ist gefährlicher Unsinn. Den Unterschied zwischen einer Front National geführten Regierung und einer mit Macron an der Spitze würden insbesondere Linke, Frauen und Migrant*innen schnell zu spüren bekommen.
Die Forderung, sich hinter Macron als einzigen demokratischen Kandidaten zu versammeln ist allerdings ebenfalls problematisch, weil sie den Impuls einiger Wähler*innen verstärkt, sich der vom französischen Wahlverfahren diktierten Alternativlosigkeit zu entziehen. Einige Kommentator*innen argumentieren, um Le Pen zu verhindern solle nicht nur für Macron abgestimmt werden, sondern dieser sei auch von jeder Kritik auszunehmen. In der taz droht Robert Misik in diesem Sinne: „Den Mitte-links-Kandidaten schlechtzureden, sogar dann, wenn man am Ende eh für ihn stimmt, bleibt heute nicht mehr folgenlos.“ In der Zeit gehen Elisabeth Raether und Gero von Radow sogar noch weiter und werfen Mélenchon vor, er spiele Le Pen mit seinen „Attacken gegen die Globalisierung, gegen die EU, gegen Deutschland und das Finanzkapital“ in die Hände. Damit fordern sie de facto eine linke Selbstzensur, die bis zur Selbstaufgabe geht. Dieses Kritikverbot ist nicht nur der Tendenz nach undemokratisch, sondern es ist auch kontraproduktiv, weil es vergisst, dass das neoliberale Mantra der Alternativlosigkeit selbst dazu beiträgt, dass der Front National sich als einzige gesellschaftliche Alternative zum Status Quo präsentieren kann.
Vom vote blanc zur sozialen Alternative
Das „vote blanc“ der „Unbeugsamen“ ist in diesem Sinne eine konsequente Antwort auf die Zumutung, die eigene Verarmung und Entrechtung auch noch als „Sieg des Republikanismus“ feiern zu sollen. Es darf in der Bewertung der Wahlempfehlung außerdem nicht vergessen werden, dass Jean-Luc Mélenchon deutlich gemacht hat: „Le Pen zu wählen wäre ein schlimmer Fehler“. Um Le Pen zu verhindern werden deshalb viele „Insoumistas“ in den sauren Apfel beißen und für Macron stimmen.
Anstatt Macron darüber hinaus von jeglicher Kritik auszunehmen, ist die französische Linke gut beraten, ihren Widerstand gegen die Zumutungen des neoliberalen Kapitalismus weiterhin konsequent in der Öffentlichkeit zu vertreten und eine soziale Alternative zu öffnen. Andernfalls könnte sie in wenigen Jahren tatsächlich zur Steigbügelhalterin eines neuen Faschismus werden: indem sie sich, dem negativen Beispiel der französischen Sozialdemokratie folgend, selbst überflüssig macht und von der Unbeugsamkeit ihrer Ziele ablässt!