Auch ein Jahrzehnt nach seiner Einführung ist das Sanktionsregime der Hartz-Gesetze Ursache von Armut. Die LINKE fordert eine sanktionsfreie Mindestsicherung in Höhe von 1050 €. In einem Rundbrief hat die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen jetzt eine Stellungnahme zum „Existenzminimum“ veröffentlicht, die wir im Folgenden dokumentieren:

Das „Existenzminimum“ ist zurzeit mehr Minimum als Existenz. Die steuerfinanzierten Leistungen wie Sozialhilfe, Sozialgeld, Arbeitslosengeld II sollten mehr als nur das physische Überleben sichern. Gerade in sozialkultureller Hinsicht sind sie kaum erträglich. Darüber hinaus wäre es ihre zentrale Aufgabe, gesellschaftliche Spaltung zu verhindern, anstatt Lohndumping zu subventionieren. In einer reichen und solidarischen Gesellschaft wäre es (eigentlich) ein Leichtes, Alle in allen Lebenslagen  „mitzunehmen“ statt zu entkoppeln. Dazu bedarf es jedoch des politischen Willens, der den erarbeiteten Reichtum so nutzt, dass auch Alle davon profitieren.

In Deutschland beziehen rund 8 Millionen Menschen Leistungen der Grundsicherung – in
unterschiedlicher Form (nach SGB II, SGB XII oder Asylbewerberleistungsgesetz) und aus
verschiedenen Gründen (Arbeitsuchende, Erwerbsgeminderte, Altersrentner*innen, aber
auch viele Erwerbstätige auf Grund zu niedriger Löhne). Sie alle sind zum Lebensunterhalt
auf eine steuerfinanzierte Sozialleistung angewiesen.

Doch diese Leistungen (Regelbedarfe) werden – trotz „Statistikmodell“ – nicht methodisch
sauber und mathematisch transparent berechnet, sondern willkürlich manipuliert
und nach politischen Vorgaben minimiert. So können sie weder zuverlässig ein Abrutschen
in Armut verhindern (sondern sind eher „Armut per Gesetz“), noch gesellschaftliche
Teilhabe gewährleisten. Die Betroffenen fühlen sich nicht nur abgehängt, sie sind es
auch: Ihr Abstand zur Mitte der Gesellschaft wächst weiter.

Existenzminimum garantieren – Regelsätze fair, stringent und transparent bemessen!

Die Grundsicherung soll sich eigentlich aus dem tatsächlichen (notwendigen) Verbrauch
der unteren Einkommensschichten ergeben, wie er statistisch in der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe (EVS) erfasst wird. Was als „untere“ Bezugsgruppe zählt, wird jedoch
festgelegt, wie es gerade passt (mal 20, mal 15 Prozent), Zirkelschlüsse werden
nicht konsequent vermieden, und manche Ausgaben werden ersatzlos gestrichen – nicht
nur Alkohol und Zigaretten, sondern auch Blumen, Grabschmuck und Weihnachtsbaum.
So kommt man zu künstlichen Regelsätzen zwischen 237 und 409 Euro pro Person, je
nach Alter und Familienstand.

Damit wird der Bedarf der Armen durch den Verbrauch der Armen normiert und herunter
gerechnet; trotzdem summiert sich das alleine in der Grundsicherung für Arbeitsuchende
(„Hartz IV“) auf monatlich etwa 3 Milliarden Euro, wovon der Löwenanteil aus der
Einkommenssteuer von „Normalverdienern“ stammt. Eine gerechte und menschenwürdige
Grundsicherung kann daher nicht anders als durch Mobilisierung des vorhandenen
Reichtums und dessen Umverteilung finanziert werden – und zwar von Oben in die Mitte
und nach Unten.

Wenn die Regelsätze der diversen Grundsicherungsleistungen in seriöser Weise auf ein
menschenwürdiges Niveau erhöht werden, müssten sie zwischen 253 und bis zu 560 Euro
liegen – mit Gegenfinanzierung durch Steuergerechtigkeit!

Dabei geht es nicht darum, willkürlich niedrige durch willkürlich hohe Regelsätze zu konterkarieren,
sondern ausgehend von expliziten politischen Normsetzungen „sauber“ zu
rechnen. Ein flexibles und doch stringentes Modell, wie das zu bewerkstelligen wäre, haben
die Verteilungsforscherinnen Becker & Tobsch im Auftrag der Diakonie präsentiert:

  • Steuerfinanzierte Sozialleistungen dürfen nicht klammheimlich kleingerechnet werden,
    vielmehr sind sie empirisch zu ermitteln, nachvollziehbar zu begründen und politisch
    offen zu diskutieren;
  • insbesondere muss in die Grundsicherung eine Rechenregel eingesetzt werden, die den
    Abstand zur gesellschaftlichen Mitte nach unten begrenzt;
  • und das kommt als erhöhter Steuerfreibetrag letzten Endes auch allen „Normalverdiener*
    innen“ zugute.