Die jüngsten Wahlen in Großbritannien haben der Labour Partei ein überraschend gutes Wahlergebnis beschert. Auch wenn sie keine Mehrheit erreichen konnten hat das Schattenkabinett um Jeremy Corbyn gezeigt, dass eine erfolgreiche Erneuerung sozialdemokratischer Politik nur als Abwendung von der neoliberalen „New Labour“ Politik vollzogen werden kann. Mit guten Konzepten und einer auf die Zukunft gerichteten Rückbesinnung auf sozialdemokratische Werte hat sich Labour vom Abwärtstrend der europäischen Sozialdemokratie gelöst. Diesen weg gilt es weiter zu beschreiten.
Die konzeptionelle Offenheit für radikale Projekte zeigt sich unter anderem an einem Papier, das bis bisher wenig wahrgenommen wurde. Eine Arbeitsgruppe aus Aktiven und Wissenschaftler*innen hat für Labour einen Bericht zum Thema “Alternative Eigentumsmodelle” verfasst. Das Dokument wurde erstellt als „Report to the Shadow Chancellor and Executive Secretary of State for Business, Energy and Industrial Strategy“ und gibt wichtige Anstöße für eine zukunftszugewandte Strategiedebatte zu alternativen Eigentumsformen. Diese können auch für die deutsche Diskussion fruchtbar sein. Im Folgenden werden deshalb einige Kernpunkte zusammengefasst und kommentiert.
Warum brauchen wir alternative Eigentumsmodelle?
Das ökonomische System kapitalistischer Staaten wird von einer spezifischen Form des Eigentums dominiert: dem Privateigentum. Neben diesem existieren zwar weitere Formen, sie sind allerdings meist marginal. Die Dominanz des Privateigentums sagt jedoch noch nichts darüber aus, ob es dem Gemeinwohl förderlicher ist, als andere Eigentumsformen. Die Arbeitsgruppe der Labour Partei hat in ihrem Positionspapier herausgearbeitet, welche Herausforderungen des aktuellen Systems durch eine Umstrukturierung der Eigentumsordnung angegangen werden könnten. Die Ziele umfassen:
- Die Erhöhung der Produktivität (im Bericht wird darauf verwiesen, dass das britische BIP 18% unterhalb des G7-Durchschnitts liegt)
- Die Ausweitung der Demokratie auf das Feld der Ökonomie
- Die Herstellung von finanzieller Gleichheit und Sicherheit durch eine demokratische Verteilung erarbeiteter Profite
- Den Ausgleich ausfallender öffentlicher Investitionen durch genossenschaftliche Netzwerke
- Schließlich sollen alternative Eigentumsmodelle eine Antwort geben auf die Automatisierung durch Digitalisierung, die zu einer Reduktion der notwendigen Arbeit und grundlegenden Veränderung von Arbeitsprozessen führt (im deutschsprachigen Raum wird dieses Thema meist unter der Überschrift „Industrie 4.0″ diskutiert)
Industrie 4.0 – Die Veränderung der Arbeit gestalten
Schätzungen der Bank of England zufolge sind in Großbritannien potentiell zwei Drittel aller Jobs durch die digitale Automatisierung gefährdet. In den nächsten Jahren wird mit einem Verlust von bis zu 15 Millionen Arbeitsplätzen gerechnet. Für Deutschland existieren vergleichbare Berechnungen. Weit entfernt davon, sich dem Trend zur Automatisierung entgegenzustellen hebt die Arbeitsgruppe der Labour Partei die Chancen der Produktivitätssteigerung digitalisierter und robotisierter Arbeitsprozesse hervor. Diese gilt es jedoch politisch zu gestalten.
Die größte Gefahr liegt den Autor*innen des Arbeitspapiers zufolge nicht in den Brüchen, die die Digitalisierung der Arbeitswelt verursacht, sondern in einer unzureichenden Automatisierung, die viele Arbeiter*innen in unproduktive Jobs einsperrt. Gefordert wird deshalb eine beschleunigte und vollständige Automatisierung, während gleichzeitig die institutionellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Früchte der erhöhten Produktivität gerecht verteilt und demokratisch verwaltet werden. Dazu schlägt die Labour-Arbeitsgruppe vor:
- Lohnerhöhungen, insbesondere im Niedriglohnsektor durchzusetzen, während die Automatisierung der Arbeit gleichzeitig durch Investitionsprogramme vorangetrieben wird
- Neue Formen kollektiven Eigentums zu etablieren, wobei ein festgeschriebener Prozentsatz der erwirtschafteten Gewinne für Investitionen zurückgehalten wird
- Die Arbeitszeit sukzessive zu verkürzen, um das verringerte Quantum notwendiger Arbeitszeit gleicher zu verteilen
- Das Bildungssystem zu verbessern und so auszubauen, dass Innovationskraft und Kreativität ins Zentrum rücken, also die Vorteile menschlicher Arbeit im Vergleich zu Maschinen gezielt gestärkt werden
- Perspektivisch ein bedingungslosen Grundeinkommen einzuführen
Alternativen zum Privateigentum
a) Genossenschaften und Arbeiter*innenkollektive
Eine Kooperative oder Genossenschaft (in diesem Text werden die Begriffe gleichbedeutend verwendet) ist ein Zusammenschluss von Menschen, die sich in freiwilliger Assoziation zusammentun, um bestimmte ökonomische, soziale und kulturelle Ziele zu erreichen, die in einem gemeinsamen Unterfangen leichter zu erreichen sind, als alleine.
Zu den Grundwerten von Genossenschaften gehören Verantwortung, Demokratie, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Erste Genossenschaften bildeten sich im 19. Jahrhundert heraus. Prinzipiell können fünf Arten von Genossenschaften unterschieden werden: Arbeiter*innenkooperativen, Konsumgenossenschaften, Einkaufsgenossenschaften, Produzentengenossenschaften und sogenannte „Multi-Stakeholder Genossenschaften“.
Die Arbeit von Genossenschaften orientiert sich an den folgenden Prinzipien:
- Genossenschaften stehen allen offen, die ihre Angebote nutzen wollen und die mit einer Mitgliedschaft einhergehenden Verpflichtungen akzeptieren. Es findet keine sexistische, rassistische, soziale oder sonstige Diskriminierung statt.
- Genossenschaften sind demokratisch organisiert. Die Mitglieder entscheiden über die Politik und Verfasstheit ihrer Genossenschaft.
- Die Mitglieder tragen in gerechter Weise zum Kapital ihrer Genossenschaft bei und kontrollieren seine Verwendung.
- Wenn Genossenschaften Kooperationen mit staatlichen oder in Privateigentum befindlichen Akteuren eingehen, muss die demokratische Verfasstheit und die Autonomie der Genossenschaften gewahrt bleiben.
- Genossenschaften bilden ihre Mitglieder, damit diese effektiv zur Entwicklung der Genossenschaft beitragen und sie ihre demokratischen Rechte ausüben können.
- Genossenschaften etablieren Kooperationen und Netzwerke mit anderen Genossenschaften, um sich gegenseitig zu unterstützen
- Genossenschaften wirtschaften ökologisch und sozial nachhaltig
b) Kommunales Eigentum
In kommunalem Eigentum befinden sich klassischerweise all jene Betriebe, die unabdingbare Beiträge zur „kommunalen Daseinsvorsorge“ leisten und oft eine Monopolstellung einnehmen. Beispiele sind kommunale Abfallwirtschaftsbetriebe, die städtische Wasserversorgung, Verkehrsbetriebe oder Stromnetze. Vom Ende des 19. Jahrhunderts an hat sich die Idee verbreitet, dass die grundlegenden Elemente der kommunalen Daseinsvorsorge „vor Ort“ kontrolliert und nicht Profitinteressen unterworfen sein sollten. Im Zuge der in England von New Labour, in Deutschland wesentlich von SPD und CDU betriebenen Privatisierungspolitik wurden jedoch zahlreiche kommunale Betriebe privatisiert. Die Rückholung privatisierter Verkehrsbetriebe, Krankenhäuser und anderer kommunaler Versorgungsbetriebe stellt deshalb ein wichtiges Anliegen linker Politik dar.
Um zu gewährleisten, dass sich Betriebe in kommunaler Hand tatsächlich an den Interessen der Bevölkerung vor Ort orientieren schlägt die Labour Arbeitsgruppe die folgenden Maßnahmen vor.
- Es sollten kommunale Netzwerke aufgebaut werden, in denen wichtige Grundgüter produziert werden.
- Die Kommunale Daseinsversorgung sollte mit der „Ökonomie des Gemeinsamen“ (Commons) verzahnt werden.
- Kommunale Dienstleistungen sollten stärker demokratisiert werden, um die Konsument*innen an den betrieblichen Entscheidungsprozessen zu beteiligen.
- Die betriebliche Mitbestimmung innerhalb kommunaler Betriebe sollte gestärkt werden.
c) (Nationales) Staatseigentum
Staatsbetriebe (Engl. „state-owned-enterprises“, SEO) befinden sich vollständig oder teilweise im Besitz einer nationalen Regierung. Der OECD zufolge zielt Staatseigentum darauf, „den Wert für die Gesellschaft durch den effektiven Einsatz von Ressourcen zu maximieren“. Auf globaler Ebene hat die Bedeutung staatlichen Eigentums in den letzten Jahren zugenommen. Der Anteil von Staatsbetrieben hat sich weltweit von 9% im Jahr 2005 auf 23% im Jahr 2015 erhöht. Ein wesentlicher Anteil davon fällt auf chinesische Firmen, allerdings ist auch die Zahl nicht-chinesischer Staatsbetriebe gestiegen.
Die meisten Staatsbetriebe sind „natürliche Monopole“, also in Bereichen angesiedelt, die eine natürliche Monopolstruktur aufweisen, wie Schienen- oder Stromnetze. Ein Vorteil von Staatsbetrieben ist es, dass der Staat ihr wirtschaften an gesellschaftlich wünschenswerten Zielen (beispielsweise Klimazielen) orientieren kann.
Bürgerliche Medien und Privatfirmen stehen Staatsbetrieben oft kritisch gegenüber. Das Argument, diese seien bürokratische Großbetriebe trifft allerdings auch auf Privatunternehmen zu, die in großen Monopolmärkten tätig sind. Staatsbetriebe machen deshalb überall dort Sinn, wo Privatbetriebe aufgrund ihrer Monopolstellung Preise beliebig bestimmen und entsprechende Monopolrenten einstreichen könnten. Demgegenüber können Staatsbetriebe, sofern sie demokratisch verwaltet und die Interessen der Konsument*innen in Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden, einen Ausgleich zwischen Produzent*innen und Konsument*innen erreichen. Anstatt auf private Profite zielen Staatsbetriebe zumindest im Prinzip auf das gesellschaftliche Gemeinwohl.
Fazit: Die Eigentumsfrage neu stellen
Mit der Einrichtung einer Arbeitsgruppe zum Thema „Alternativen zum Privateigentum“ hat die Labour Partei in Großbritannien eine alte Debatte wieder aufgegriffen. Ihr Bericht zeigt, dass alternative Eigentumsformen Antworten auf Problemlagen im digitalisierten Finanzkapitalismus geben können. Die Eindämmung des Privateigentums wird von Labour wesentlich von Defiziten der neoliberalen Wirtschaftsweise her gedacht. Als „weitere Schritte“ fordern die Autor*innen des Berichts die Aufstellung von Listen möglicher zu kollektivierender Industrien, sowie die Diskussion rechtlicher Formen von Kollektiveigentum und den Aufbau entsprechender Netzwerke.
Tatsächlich ist es positiv, dass die Eigentumsfrage wieder in den Blick genommen wird. Der Bericht von Labour macht einen ersten Aufschlag zur Wiederbelebung der Debatten um Eigentum im englischen Sprachraum. Auch Linke in Deutschland können dies zum Anlass nehmen, die alte Frage: „wem gehört die Welt“ neu in den Blick zu nehmen. Mit der „neuen Gemeinnützigkeit“ im Bereich des Wohnungsbaus sind Ansätze einer solchen Debatte in der Partei Die LINKE vorhanden. Stärker ins Zentrum gerückt werden sollte allerdings die Frage, inwiefern kollektive Eigentumsformen eine transformatorische Rolle beim Übergang zum demokratischen Sozialismus spielen können. In diesem Sinne wäre es auch für die LINKE wünschenswert, die Eigentumsfrage mit neuen Konzepten wieder stärker ins Zentrum ihrer Politik zu rücken.