Gastbeitrag von Jules Jamal
Die Führungsspitzen der Gewerkschaften unterstützen die geplante große Koalition, obwohl diese wenig gutes bereit hält für deren eigene Mitglieder. Zuerst empörten sich gewerkschaftliche Aktive aus der NGG Bayern über die nicht diskutierte Unterstützung der Groko, nun gibt es einen Aufruf von Vorstandsmitgliedern, Gewerkschaftssekretären und Betriebsräten, in dem diese eine gänzlich andere Politik fordern und scharf mit den Zielen der Groko abrechnen.
Der Aufruf, der überschrieben ist mit „FÜR EINE SOZIALE ALTERNATIVE ZUR POLITIK DER GROSSEN KOALITION“ kritisieren die Gewerkschafter, unter denen sich z.B. die Landesvorsitzenden der GEW Hessen finden, dass es keinerlei Umverteilung von oben nach unten gibt, sondern der bestehende Trend der sozialen Spaltung fortgesetzt wird. So heißt es: „Obwohl die Ungleichheit in Deutschland wieder das Ausmaß von vor hundert Jahren angenommen hat, verzichtet die GroKo auf Umverteilung von oben nach unten: keine Vermögenssteuer, keine Änderung der Erbschaftssteuer, keine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Die geplante Abschmelzung des Soli-Zuschlages führt zu erheblichen Einnahmeausfällen der öffentlichen Hand und entlastet vor allem Haushalte mit relativ hohen Einkommen.“ Kritisiert wird auch, dass weder der Investitionsstau im öffentlichen Sektor angegangen, noch etwas wirksames gegen die Altersarmut unternommen wird. Auch die mangelhafte Ausfinanzierung des Gesundheitssystems und die Beibehaltung der Zwei-Klassen-Medizin werden scharf angegangen. Auf dem für Gewerkschaften wohl wichtigsten Feld, der Arbeitsmarktpolitik, zeigt sich der Frust über die Pläne der kommenden Regierung, so heißt es im Aufruf: „Nichts findet sich zu dringend notwendigen Maßnahmen gegen prekäre Beschäftigung und den Missbrauch von Werkverträgen, zur Stärkung des Mindestlohns und der Tarifverträge, zur sozialen Regulierung digitaler Arbeit. Die Einschränkung grundloser Befristungen ist nur ein schwacher Kompromiss, Midi-Jobs sollen sogar ausgeweitet werden.“ Eine positive Überraschung stellt dar, dass der Aufruf explizit auch Position bezieht für Geflüchtete und gegen die geplante Obergrenze: „Das Ganze wird dann noch garniert mit Formulierungen, die stark an die von der CSU geforderte Obergrenze von Flüchtlingen erinnern. Suggeriert wird, dass Deutschland keine Verantwortung für die Fluchtursachen trägt. Zudem soll verstärkt aufgerüstet werden und Deutschland sich weiter an Militäreinsätzen des Westens beteiligen. Suggeriert wird ferner, dass etwaige Belastungen durch die Gesellschaft nicht aushaltbar wären. Beides ist falsch.“ Zum Abschluss fordern sie, dass die Gewerkschaften ihr politisches Mandat wieder wahrnehmen und sich für eine soziale Alternative einsetzen: „Statt den Koalitionsvertrag zu bejubeln, müssen die Gewerkschaften ihre inhaltlichen Anforderungen an die Koalition und die Regierung bekräftigen und diese durch öffentlichkeitswirksame Kampagnen untermauern. Die Gewerkschaften müssen konsequent ihre Aufgabe als parteipolitisch unabhängige Interessenvertretung der von Lohnarbeit abhängigen Menschen wahrnehmen. Eine soziale Alternative, ein Politikwechsel für gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit und für Frieden ist und bleibt notwendig.“
Zuerst erschienen auf Die Freiheitsliebe