In Frankreich sind am vergangenen Dienstag 200.000 Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Präsident Macron und das von ihm geplante Arbeitsgesetz zu demonstrieren. Das Gesetz wird gerade im Eilverfahren per Dekret durchgesetzt, eine breite Debatte will Macon vermeiden. Der zweitgrößte Gewerkschaftsbund CGT wertet die Reform als einen Generalangriff auf das Arbeitsrecht, der vom „liberalen Monarchen“ Macron am Parlament vorbei durchgesetzt wird.

Doch worum geht es eigentlich in der ganzen Debatte? Die vier größten Kritikpunkte an den geplanten Reformen sind:

1. Branchentarifverträge werden unterminiert

Die wohl wichtigste Änderung des Arbeitsrechts findet sich im berüchtigten „Artikel 2“ des von Macron vorgelegten Reformpakets. Dieser sieht vor, dass Betriebsvereinbarungen künftig anders lautende Vereinbarungen aus Branchentarifverträgen aussetzen sollen – auch wenn die betrieblichen Regelungen für Arbeitnehmer*innen ungünstiger ausfallen als die Branchenvereinbarungen. Die Logik, dass Branchentarifverträge Mindeststandards setzen, die von einzelnen Betrieben nicht unterlaufen werden dürfen, würde damit außer Kraft gesetzt. In der Praxis wird dies zur Unterminierung tariflicher Standards durch betriebliche Vereinbarungen führen.

2. Die gewerkschaftliche Mitbestimmung wird abgebaut

Macon will die Gewerkschaften schwächen und ihre Mitbestimmungsrechte einschränken. Betriebliche Abstimmungen und individuelle Verhandlungen sollen die gewerkschaftliche Interessensvertretung ablösen. In Betrieben mit weniger als 20 Mitarbeiter*innen soll künftig ohne Gewerkschaften verhandelt werden können. Unter dem Deckmantel der Demokratie und individueller Freiheit wird die kollektive Interessensvertretung der Gewerkschaften ausgesetzt. Dies wird die Verhandlungsposition der Arbeiter*innen schwächen. Als Einzelne sind sie dem Druck der Arbeitgeber schutzlos ausgesetzt.

3. Befristung und Unsicherheit werden zur Norm

Ein zentrales Element der von Macron vorgelegten, neoliberalen Arbeitsmarktreform ist die Schwächung des Kündigungsschutzes. Macron orientiert sich explizit am Beispiel Deutschlands und will die Möglichkeit prekärer Anstellung ausweiten. Die gesetzliche Beschränkung von Befristungen soll aufgehoben und durch tarifliche Vereinbarungen ersetzt werden. Kettenbefristungen und Lohndumping wäre damit Tür und Tor geöffnet. Doch auch wer in fester Arbeit angestellt ist, soll zukünftig weniger abgesichert sein: Durch die gesetzliche Beschränkung von Abfindungen könnte auch langjährigen Mitarbeiter*innen künftig leichter gekündigt werden. Besonders skandalös ist der Plan, die Verjährungsfrist für unrechtmäßige Kündigungen auf ein Jahr zu beschränken. Nach dieser Frist kämen Arbeitgeber selbst im Falle grob rechtswidriger Kündigungen ohne Ausgleichszahlungen davon.

4. Mehr Überstunden und erhöhte Arbeitsbelastung

In Frankreich galt bisher eine klare Regel: Die Wochenarbeitszeit beträgt 35 Stunden. Ausnahmen gab es nur in sehr begrenztem Umfang. Geht es nach Macron sollen nun unter „besonderen Umständen“ bis zu 60 Stunden pro Woche erlaubt sein. Diese „besonderen Umstände“ sind jedoch kaum definiert. Damit würde die Grundlage für eine prinzipielle Ausweitung der Wochenarbeitszeit gelegt.

 

Proteste in Frankreich 2016

Angesichts dieser Zumutungen wäre ein breiter Protest notwendig. Bisher haben sich allerdings die sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaftsvereinigungen Force Ouvrière (FO) und Confédération française démocratique du travail (CFDT) nicht dazu entschließen können, sich dem Streikaufruf der Confédération générale du travail (CGT) anzuschließen. Auch die „Insoumistas“ von Jean-Luc Mélenchon sind bisher keinem breiten Bündnis beigetreten, sondern organisieren eigene Proteste.

Wenn die französische Gewerkschaftsbewegung sich nicht bald zu einem geschlossenen Bündnis zusammenfindet, könnte der von Gerhard Schröder für Deutschland reklamierte Titel „Land mit dem schönsten Niedriglohnsektor Europas“ bald an Frankreich gehen. Die Verlierer des neoliberalen Wettbewerbs um die schlechtesten Arbeitsbedingungen sind die lohnabhängig Beschäftigten in Europa. Wird ihre Entrechtung weiter betrieben und werden sie weiter in Konkurrenz gegeneinander gehetzt, könnte allerdings die Zukunft eines geeinten Europas selbst in Frage stehen.

Es ist deshalb höchste Zeit, dem neoliberalen Herrschaftsdiskurs in Frankreich wie in Deutschland eine soziale Alternative entgegenzustellen!